Die Kopfschmerzen jedoch hat Rainer selber am anderen Morgen, als er mit den Hollingern zum gemeinsamen Kirchgang aller Emsdettener Schützengesellschaften in die Innenstadt zieht. Rund um das Rathaus erstrahlt prächtiger Fahnenschmuck, das blau-gelb der Austumer, grün-rot der Hollinger, schwarz-orange von der Kolping-Schützengilde, die Dorfbauern, Berge, Sinningen, Bürger-Schützen und Isendorf-Veltruper sind mit grün-weißen Wimpeln vertreten, Hagelisten rot-weiß, alles blau-weiße kommt aus Westum, Ahlintel, Lehmkuhle und von den Teupen, die Westumer-Einigkeit schmückt sich rot-weiß-blau, Hembergen grün-weiß-blau….
Vor ihm wird der „Geburtstagsmarsch“ gespielt, hinter ihm „Herzog Albrecht“ und von rechts kommt das „Niedersachsenlied“, wieder eine imposante Kulisse, aber mit Gleichschritt ist es bei diesen unterschiedlichen Einflüssen nun endgültig vorbei, – verstört beide Hände ringend, nach Hilfe suchend schaut er umher, sieht dabei den eigenen Zug im Schaufenster sich spiegelnd.
„Det wer’n ja immer mehr, wie macht ihr det bloß??“
Tatsächlich sind an diesem Morgen schon fast 500 Spielleute in Emsdettens guter Stube unterwegs, Vorstände, Chargierte, Kettenträger, vom Kinderkönig bis zum Stadtkaiser sowie die hinterher marschierenden Mitglieder der Emsdettener Schützengesellschaften und eine vermutlich ebenso große Anzahl an Zuschauern kommen hinzu.
Somit befinden sich an diesem Schützenfestsonntag morgens um 9 Uhr bereits mehrere tausend Menschen in den Straßen rund um den Kirchturm von St. Pankratius und später auf dem Rathausplatz, wenn dort die Sieger und Platzierten der verschiedenen Schießwettbewerbe geehrt werden, – an einem gewöhnlichen Sonntag wäre das undenkbar.
Marianne wird es zu peinlich, als sie ihren Gatten zusammen mit den Hollingern an sich vorbei ziehen sieht.
„Mensch Rainer, komm da raus, du machst dich ja lächerlich.“
„Nee nee, det klappt schon, – wird imma besser!“ läuft er gerade auf seinen Vordermann auf, weil er das Kommando des Majors nicht gehört hat.
„Det war meene Frau in Schuld.„, versucht er sich zu entschuldigen.
„Ick glaiv, dat beste is, wenn du van naomdag in’n Jubelwagen metföhers.“ Rainer stimmt verständnislos in das Gelächter der übrigen Männer mit ein.
120 Schützenbrüder laufen als „gemeines Volk“ hinterher, angeführt wird der würdevolle Tross von den Majoren, Spielmannszügen, dem Blasorchester, den Königen, Jubelkönigen, Vorstand, den beiden Fahnenabordnungen. Weit über 200 Schützenbrüder ziehen zum Haus des noch amtierenden Jungmännerkönigs. Ca. 50 Meter vor Erreichen des Zieles setzen die Spielmannszüge und das Blasorchester zum gemeinsamen Bauern-I-Marsch „Mit Sang und Klang“ ein. Den Nachbarn, Verwandten und Freunden des Königspaares, welche mit Kind und Kegel die Straße säumen bietet sich bei sonnigen Temperaturen um die 30°C ein schönes Bild. Digitalkameras, sowohl Foto als auch Video, laufen auf Hochtouren. Für die Jüngsten im Spielmannszug, gerade einmal 12 Jahre alt, ist es das erste Schützenfest, bei ihnen setzt plötzlich ob der Masse an Zuschauern das Lampenfieber ein, erschwerend hinzu kommt die Konzentration auf des Spielen ihres Instrumentes sowie gleichzeitig den Gleichschritt halten.
Und plötzlich hört man ganz ungewohnte Töne vom Straßenrand, – nicht nur ungewohnt wegen des Berliner Dialektes, vielmehr ungewohnt auf Grund des Inhaltes der Aussage:
„Kiek ma, det is min Menne!“ Rainer winkt ihr schon von weitem zu.
„Nu hab ick et bejriffen, der Paukenschlag is immer uff links!“ Bei diesem Marsch grundsätzlich richtig, aber da kommen ja noch die mit Doppel- oder Gegenschlag…
Bis hin zum letzten Mann ist das kräftige Organ des Majors zu hören:
„Abteilung halt, links uuummm, zur Verleihung der Königsplakette übergebe ich das Wort an den 1. Vorsitzenden.“ Ein kurzer Rückblick auf den Königsschuß heute vor einem Jahr. Der 83. war es bei dem die Menge und vor allem er selber in Jubel ausbrach.