Zusammen mit den Königen und Jubelkönigen mit ihren prächtigen Ketten und Scherpen, den uniformierten Spielmannszügen, dem Vorstand sowie den übrigen Mitgliedern in weißer Hose und dunklem Jackett, den markerschütternden Klängen des Musikzuges, erleben die Kaisers einen festlichen Gottesdienst. Von der Kanzel werden Grüße aus den Jugendlägern ausgesprochen, Kinder, die jetzt eigentlich viel lieber beim Schützenfest wären. Alles in Allem eine beeindruckende Kulisse.
„Helm ab zum Gebet!“ heißt das Kommando des Majors nach den Gedenkworten des Pfarrers an der Kriegergedächtniskapelle. Errichtet seinerzeit zum Andenken an die Gefallenen und Vermissten des ersten und zweiten Weltkrieges, die auf zwei Tafeln im innern der Kapelle verewigt sind. Ein Trompeter bläst „Ich hatte einen Kameraden“ und alle verharren im stillen Gebet. Die Könige legen den Kranz in den Eingangsbereich der Gedenkstätte, zupfen noch einmal die Schleife zurecht.
Eine Zeremonie, die nicht nur reine Pflichterfüllung ist. Den derzeit aktiven Schützenbrüdern sind die auf den Tafeln genannten Männern, die für ihr Vaterland ihr Leben ließen nicht bekannt, die Kriegsgeneration war lange vor ihrer Zeit. Sie gedenken in diesem Moment den Verstorbenen der jüngsten Zeit, die vielleicht noch im vergangenen Jahr genau hier an dieser Stelle neben ihnen gestanden hatten: Das Leben ist vergänglich, die Erinnerung gegenwärtig und das Andenken kann und soll bewahrt bleiben. Die Vereinsfahne begleitet die Schützenbrüder bis an ihr Ende, nimmt als letzten Gruß daran teil, wenn das Mitglied zu Grabe getragen wird und versinnbildlicht so die Verbundenheit untereinander: „Du warst einer von uns und wirst es immer bleiben“.
„Det find ick juut, det man trotz allem Feiern auch an die schlechten Zeiten erinnert. Det is wichtig, ook wenn hier Frieden is, – wo überall uff unser’n Globus sind se denn jerade jetzt schon wieder am Ballern, musste doch bloß mal inne Glotze kieken, dann hörstet…“ Berliner Schnauze kann auch anders klingen.
120 Birken und alle mit grünen, roten und weißen Papierrosen geschmückt, sind rund um das Vereinslokal aufgestellt. Der Eingangsbereich zum ebenfalls festlich geschmückten Saal wird von zwei großen Fahnenmasten flankiert, – an diesen wehen selbstverständlich die Fahnen in den Vereinsfarben, vom Betrachter aus gesehen grün links und rot rechts. Bei Hausfahnen hängt grün außen, zur Straße hin. Der Festplatz in den Anlagen der Gaststätte unter der Vogelstange sowie die Straßenzüge rund um das Vereinslokal sind mit grün-roten Wimpeln ausgehangen. Frauen und Kinder, darunter auch Marianne Kaiser aus Berlin, stehen am Straßenrand.
„Se kuemt drantrecken!“ versteht sie zwar eigentlich nicht, was wirklich gesagt wurde, vermutet aber, was gemeint ist.
„Kuent se mi denn wull verstaohn wenn ick so met u küere?“
Das Fragezeichen in Mariannes Gesicht will immer größer werden, – sie lächelt jedoch freundlich zurück.
„Also nich, – häbb ick mi doch faorts dacht.“
Rainer Kaiser hat sich inzwischen an das Marschieren gewöhnt, hier und da muss noch die Verse des Vordermannes dran glauben, aber morgen, wenn noch mal 100 Schützenbrüder mehr als heute mitlaufen, dann wird er von den anderen nicht mehr zu unterscheiden sein. Jetzt, beim Einzug in den Festsaal spielen alle, das heißt drei Spielmannszüge sowie das Blasorchester gemeinsam „Preußen’s Gloria“.
„Da kullert et mir ja kalt den Buckel runter„, Marianne kennt diesen Marsch noch von ihrem Vater ihre Bemerkung jedoch wird von den taktgebenden Schlägen der gerade vorbeiziehenden Pauken übertönt.
Im Saal beginnen nun die Ehrungen langjähriger Mitglieder. In diesem Jahr gilt es eine besondere Ehrung vorzunehmen: 70 Jahre Mitglied der Hollinger Schützengesellschaft und damit so lange dabei, wie kein anderer. Die übrigen Mitglieder stehen von ihren Plätzen auf, zollen Respekt und klatschen Beifall als ihm die Ehrennadel von der noch amtierenden Königin ans Revers geheftet wird. Wenn sie doch in dem Alter alle noch so rüstig wären…
Am Rande bleibt noch Gelegenheit, mit dem ein oder anderen Schützenbruder zu reden, – selbst die Hürde Berlinerisch-Plattdeutsch wird nach anfänglicher Gewöhnungsbedürftigkeit schnell genommen. Tanzen will Frau Kaiser nicht, ihr tun die Füße weh.
„Na, wenn de dafür nachher keene Kopfschmerzen has, is det OK, wa.„