Fortsetzungsroman „Schützenfest“ 2/15

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Traditionell am Samstag vor Schützenfest ist das sogenannte „Vougel bekieken“, die noch amtierenden Könige präsentieren die hölzernen Vögel mit denen die neuen Majestäten ermittelt werden. Bei Bier, Würstchen vom Grill und den Klängen der Spielmannszüge kommt man dann auch schnell in Schützenfeststimmung und kaum einer ist an diesem Abend dabei der sich nicht bei dem Gedanken erwischt „Mensch, Schützenkönig, das wolltest du doch auch immer schon mal werden….“ und tatsächlich gehen einige mit dem festen Entschluss nach Hause, am nächsten Wochenende um die Würde des Jungmänner-, des Männer- oder des Scheibenkönigs zu ringen. Bei einigen ist dieses Vorhaben jedoch schon am nächsten Morgen relativiert. Entweder die vermeintlich zukünftige Königin oder der „benebelte“ Rückblick auf den Abend zuvor lassen die  kurzzeitigen Zukunftspläne wie eine Seifenblase zerplatzen… zunächst.

Jo, da jing et schon richtig zur Sache, wa? Det kann ick mir vorstellen.

Mensch Rainer, nu kiek doch ma, wie dolle det hier alle jeschmückt is. Und da, die kratzen sojar det Moos aus de Fujen vonne Infahrt, und wat die für schöne Vorjärten ha’m.

Warum gloobst du ejentlich immer, ick seh det allet nich? – Und wenn de nen Vorjarten ha’m wills, denn muss de raus nach Wannsee zieh’n. Aber dafür wer’n die paar Penunzen, die ick nach Hause bringe, wohl kaum reichen.

Tatsächlich herrscht reges Treiben auf den Strassen und Bürgersteigen. Wo schon am Nachmittag die Marschmusik der Spielmannszüge zu hören sein wird, regieren im Moment noch die Rasenmäher, die sich ein Wettbrummen zu liefern scheinen. Die Fahne des Nachbarn wird begutachtet, die eigene zurecht gezupft, ein Büschel Buchsbaum an der Mastspitze trappiert.

Hier wird der sonst eher grobmotorisch veranlagte Westfale plötzlich zum filigranen Detail-Fanatiker. Dieses Knistern in der Luft scheint nun endgültig auch unsere Gäste gepackt zu haben, – Berlin-Tourismus einmal anders, – war für mich im vergangenen Jahr noch das Brandenburger Tor oder das Olympia-Stadion Objekt meiner Kameralinse, gehören hier die aufgestellten und mit Papierrosen bestückten Birken, „Hoch lebe das Königspaar“ und die falsch herum hängende Fahne, die „nach Hexenkasse riecht“, zu den Dingen, die unbedingt für die Nachwelt festgehalten werden müssen.

Aber jetzt wird erstmal gegessen und dann zeig ich Euch Euer Quartier für die nächsten Tage, – etwas „Augenpflege“ heute Nachmittag wäre nicht schlecht, – davon gibt’s in den nächsten Tagen nicht viel…. Nachher um Punkt 17:30 Uhr ist Antreten, – und von da an ist Schützenfest nicht mehr zu stoppen.

Nee Du, lass ma‘, wir ha’m noch Schrippen.“ Im selben Moment sind Käsebrötchen und Thermoskanne ausgepackt.

Entschulje, darf überhaupt im Auto jejessen wer’n?

Nein, darf nicht, das Essen dürfte bereits auf dem Tisch stehen, – End of Discussion und End of Sightseeing.

Jibt wahrscheinlich wat besseret, wa?“ Mehr ein feststellender Wunsch als eine Frage. Die Kaisers würden sich als dankbare Besucher erweisen, welche die Gastfreundschaft sicher nicht ausnutzen werden, soviel stand jetzt schon fest. Die vier Meter lange Mastfahne weht beeindruckend im Wind, geradezu so, als wolle sie den Berlinern auf Schützenfest-Safari zur Begrüßung winken.

Ick komm mir vor wie’n Doktor, wa.

Schick siehste aus, so janz in weiß.“ Marianne rückt ihrem Gatten die Krawatte mit dem Emblem der Hollinger Schützengesellschaft zurecht und als sie „ganz in weiß“ sagt, lächeln sich beide an, – hatten sie sich doch vor 38 Jahren bei diesem Lied, heimlich vom „West-Radio“ aufgenommen, kennengelernt. Das schwarze Jackett bleibt angesichts der hohen Temperaturen zunächst auf dem Bügel hängen.

Als Sie am Vereinslokal ankommen, stehen bereits rund 100 Schützenbrüder in den Startlöchern, die Bläser des Musikzuges stimmen ihre Instrumente und die Klöppeljungs aus den Spielmannszügen stellen sich schon in Marschordnung auf, – zumindest die Jüngeren. Jemand vom Vorstand sieht sofort, dass Rainer ja noch ganz „nackt“ ist und verkauft ihm ein Drüvken. Erst jetzt gehört er wirklich dazu. Marianne steht stolz am Straßenrand, gleich wird ihr Rainer mit dem ganzen Gelaog zum Kirchgang marschieren.

Hollinger Schützengesellschaft stillgestanden, – reeechts uuummmmm, im Gleichschritt Marsch!!!

Mensch Rainer, wat machste d’n da???“ auch Gleichschritt halten will gelernt sein……

Das Blasorchester spielt feierlich „Großer Gott wir loben dich“, die Gemeinde stimmt stimmgewaltig mit ein. Links und rechts vom Altar stehen die Fahnenabordnungen, vorne liegt ein aus Tannenzweigen gebundener Kranz mit Schleife. „Zum Gedenken an die verstorbenen Mitglieder der Hollinger Schützengesellschaft“ – dieser wird im Anschluss an die heilige Messe am Ehrenmal niedergelegt.

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