Zertifizierter Bürgerwind – Kreis Steinfurt setzt bundesweit Standards

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(Foto: pixabay)

Wer unabhängig von den Kosten die Wahl hat, sich zwischen einem Lebensmittelprodukt mit anerkanntem Bio-Zertifikat, das ökologischen Kriterien entspricht, und einem Produkt, das mit „Bio“ ohne Zertifikat deklariert ist, zu entscheiden, wird sicherlich das zertifizierte Lebensmittel wählen. Denn ein Produkt mit anerkanntem Zertifikat gewährleistet Qualität, Transparenz und Kontrolle. Der Kreis Steinfurt setzt hier an und hat zusammen mit regionalen Akteuren ein Zertifikat für einen „echten“ Bürgerwindpark entwickelt. Das Zertifikat ist dabei weit mehr als nur ein Label. Es dient sowohl den Kommunen und der Politik als auch den Bürgern als konkrete und nachvollziehbare Orientierungs- und Entscheidungshilfe.

Je stärker die Bürgerinnen und Bürger in den Ausbau der Windenergie eingebunden sind, desto höher ist deren Akzeptanz. Das belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Deshalb legt der Kreis Steinfurt seit Jahren großen Wert auf echte Bürgerbeteiligung – nicht nur symbolisch, sondern konkret und wirksam. Ziel ist es, möglichst viele Menschen mitzunehmen und den sozialen Frieden bei der Energiewende zu sichern.

Doch nicht überall, wo „Bürgerwind“ draufsteht, ist auch tatsächlich Bürgerwind drin. Der Begriff „Bürgerwind“ ist gesetzlich nicht geschützt. Um Etikettenschwindel und Trittbrettfahrerinnen und -fahrern vorzubeugen und die regionalen Qualitätsstandards klar zu definieren, hat der Kreis Steinfurt bereits im Jahr 2012 eigene Leitlinien für Bürgerenergie verabschiedet. Seit 2024 gibt es nun ein bundesweit einmaliges Zertifizierungsverfahren, das diese Leitlinien überprüfbar und transparent macht.

Ein unabhängiger Umweltgutachter aus dem Kreis Steinfurt prüft anhand von 40 Kriterien, ob ein Windpark die Vorgaben erfüllt. Die Kriterien müssen anhand von konkreten Belegen nachgewiesen werden. Sechs davon sind sogenannte K.o.-Kriterien – ohne deren Erfüllung ist eine Zertifizierung nicht möglich:

  • Bürgerinnen und Bürger müssen ein Angebot zu direkter, unternehmerischer Beteiligung erhalten (Genossenschaft oder KG)
  • Bürgerinnen und Bürger müssen je nach Größe des Windparks mehr als 25, 40 oder 50 Prozent des Eigenkapitals halten
  • Anwohner und Flächeneigentümer müssen bevorzug beteiligt werden – zusätzlich zum Bürgeranteil
  • Die Öffentlichkeit muss frühzeitig und umfassend informiert und beteiligt werden
  • Der Sitz der Gesellschaft und die Geschäftsführung müssen in der Standortgemeinde liegen
  • Die Mehrheitsbeteiligung eines Einzelinvestors ist ausgeschlossen.

Zusätzlich müssen 34 weitere Qualitätskriterien weitgehend erfüllt werden. Ist die Prüfung erfolgreich, wird das Projekt mit dem Siegel „Zertifizierter Bürgerwind“ ausgezeichnet. Dieses Siegel ist fünf Jahre gültig, anschließend folgt eine Re-Zertifizierung.

Folgende Voraussetzungen zeichnen einen zertifizierten Bürgerwind aus:

  • Faire Teilhabe: Niedrige Mindesteinlage und breite Streuung der Anteile. Viele hundert Personen sind in den Bürgerwindparks jeweils an der Gesellschaft beteiligt
  • Regionale Wertschöpfung: Einbindung lokaler Unternehmen, Handwerksbetriebe und Banken. Mehr als 95 Prozent der Anteile werden von Akteuren vor Ort gehalten (Bürger, Anlieger, Flächeneigentümer, Gemeinde). Damit bleibt ein großer Teil der Wertschöpfung in der Region
  • Beitrag zum Gemeinwohl: Freiwillige Leistungen für örtliche Vereine und die Stadt. Jahr für Jahr fließen zusätzliche Mittel in ehrenamtliches Engagement vor Ort. Auch das stärkt den Zusammenhalt
  • Beitrag zum Artenschutz: Mit dem neu aufgelegten „Windfonds Naturschutz“ engagieren sich die Bürgerwindparks auch aktiv für den Artenschutz. Die ehrenamtlichen Naturschützer im Kreis (ANTL, NABU, BUND) können diese freiwilligen Finanzmittel eigenverantwortlich einsetzen.

Das Verfahren aus dem Kreis Steinfurt sorgt mittlerweile bundesweit für Aufmerksamkeit: Der Bundesverband WindEnergie (BWE) hat seinen Bürgerwindbeirat beauftragt, auf Basis des Steinfurt-Modells ein bundesweites Gütesiegel für zertifizierten Bürgerwind zu entwickeln. Ein starkes Signal für mehr Qualität und Transparenz bei der Energiewende – und ein Beweis dafür, dass der Kreis Steinfurt einmal mehr wirkungsvolle Standards im Klimaschutz setzt.

Nach einem erfolgreichen Start vor rund einem Jahr haben bereits neun Windparks mit über 60 Anlagen das Verfahren durchlaufen. Fünf weitere Projekte stehen in den Startlöchern. Der Anteil zertifizierter Bürgerwindparks im Kreis wächst – und mit ihm hoffentlich auch weiterhin die hohe Akzeptanz der Windenergie in der Bevölkerung.

Der kreiseigene Verein energieland2050 empfiehlt den Städten und Gemeinden im Kreis, das Zertifikat bei neuen Windprojekten verbindlich einzufordern. Dazu wurden bereits Musterverträge bereitgestellt, die in Planungsverfahren zum Einsatz kommen können. Somit kann jeder Rat entscheiden, weiteren Windkraftausbau im Gemeindegebiet nur noch als zertifizierten Bürgerwind zuzulassen. Zertifizierter Bürgerwind zeigt: Energiewende kann gelingen – wenn sie nachweislich fair, regional und gemeinsam gestaltet wird.

In der Fortsetzung der „Bürgerwind“-Reihe wird der Wertschöpfungsrechner beleuchtet, der im Detail zeigt, wie groß der positive Effekt für die regionale Wertschöpfung ist, wenn der Windpark als zertifizierter Bürgerwind betrieben wird.

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