Die Westumgehung ist und bleibt Thema Nr. 1 in Emsdetten, wohl auch deswegen, weil es eine der weitreichendsten Entscheidungen wird, die in den vergangenen Jahrzehnten hier getroffen wurde. Ein derartig umfangreiches Bauwerk, einmal errichtet, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Speziell zu diesem Thema erreichten uns umfangreich Fragen, hier besteht also tatsächlich noch für viele Bürger Klärungsbedarf.
AllesDetten hat sich mit Christian Sorge unterhalten, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat der Stadt Emsdetten und auch Mitglied der Kreistagsfraktion. Die Grünen sind die Fraktion deren Alleinstellungsmerkmal es ist, sich gegen die Westumgehung auszusprechen, gleichwohl ist ihnen aber bewusst, dass etwas für die Entlastung der derzeit stark frequnetierten Straßenzüge Reckenfelder Str./Taubenstr./Silberweg unternommen werden muss.
Frage
Herr Sorge, als Erstes mal die Frage nach Ihrer Expertise: Warum meinen Sie, kennen Sie sich im Thema aus?
Antwort
Nun, es ist nicht nur so, dass ich durch meine Mitgliedschaft im Emsdettener Stadtrat seit 2004 und durch meine Mitarbeit in der Kreistagsfraktion als Sachkundiger Bürger im Verkehrsausschuss ganz nah am Thema dran bin. Ich habe mir auch in meinem Studium im Fach Verwaltungs- und Raumplanungsrecht die notwendigen Grundlagen ‚draufgeschafft‘, wie man so schön sagt, und dies in meiner langjährigen Tätigkeit in einer Kreisverwaltung in Niedersachsen und bei der Stadt Münster in der Praxis vertieft.
Frage
Wie konkret ist jetzt der Verfahrensstand? Warum äußert sich Ihr Parteikollege und Bürgermeisterkandidat Oliver Kellner in der Form, dass da noch nichts entschieden ist?
Antwort
Die K53n ist derzeit in der Phase eines Planfeststellungsverfahrens. Was ist ein Planfeststellungsverfahren? Ein Planfeststellungsverfahren ist für Großprojekte vorgeschrieben. Es ist vergleichbar mit einem Bebauungsplan auf höherer Ebene. Es wurde vom Kreis Steinfurt beantragt und wird von der Bezirksregierung durchgeführt. Die sogenannte Westumgehung Emsdetten K53n wäre übrigens mit fast 6 Kilometern Länge und über 11 Kilometern Straßen- und Wirtschaftswegebau das größte Straßenneubauprojekt, das es im Kreis Steinfurt jemals gegeben hat.
Im Rückblick wurden ja erste Überlegungen zum Bau einer Umgehungsstraße schon Ende der 1980er Jahre angestellt. Damals im Zusammenhang mit dem Bau einer Müllverbrennungsanlage. Massive Bürgerproteste verhinderten die Anlage. Einige der damals beteiligten Bürgerinnen und Bürger sind bis heute gegen die K53n aktiv. Denn die Idee einer Straße blieb übrig. Und sie nahm ihren Lauf.
2001 wurde im sogenannten Linienbestimmungsverfahren auf einem ‚Spaghetti-Plan‘ mit vielen bunten Linien erstmals der mögliche Trassenverlauf bestimmt. Sieben Varianten standen zur Auswahl. Die stadtfernste Trasse wurde ausgewählt. Sie war damit auch die längste und erwartbar teuerste Variante, mit der größten Zerstörung von Natur, Wald, Wiesen, Acker- und Weideflächen. Wenn sie realisiert würde, wäre die Trasse mit Sicherheit die westliche Grenze Emsdettens für Gewerbe-, Industrie- und Wohnbebauung.
Frage
Das ist alles lange Vergangenheit. Was passierte denn konkret in den letzten zehn Jahren?
Antwort
Im Jahr 2009 wurden umfangreiche Planungen für den Bau, aber auch Ergebnisse von Gutachten öffentlich ausgelegt: unter anderem Zahlen zum Verkehr, zu erhofften Entlastungen einerseits und Auswirkungen auf Natur und Landschaft andererseits. Stellungnahmen waren möglich, und wieder reichte ein kurzer Blick von Experten in die Unterlagen des Kreises aus, um grobe Fehler festzustellen. Zum Beispiel waren streng geschützte Arten nicht erfasst worden. Bis heute ist die Frage ungeklärt, ob dies vorsätzlich oder aufgrund fehlender Fachlichkeit geschah. Es kam jedenfalls nicht zum vorgesehenen Erörterungstermin, denn die Kreisverwaltung hatte neue ‚Hausaufgaben‘ zu erledigen.
Der Verkehr wurde wieder gezählt und hochgerechnet, Kosten wurden geschätzt. 2014 wurden alle Unterlagen wieder öffentlich ausgelegt. Es wurden Stellungnahmen eingeholt und Bürgerinnen und Bürger konnten ihre Meinung sagen.
Letztes Jahr, also fünf Jahre später, im September 2019, wurden im Beisein der Bezirksregierung und vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kreis- und Stadtverwaltung alle Eingaben und Einwände öffentlich erörtert.
Das Ergebnis war für die Kreis- und Stadtverwaltung wohl ernüchternd: Die Umweltgutachten waren zum größeren Teil veraltet. Das Verkehrsgutachten war klar fehlerhaft. Und der Leiter der Straßenneubaubehörde redete sich um Kopf und Kragen als er sagte: ‚Bei Verkehrsgutachten ist immer Prophetie und Magie‘ dabei und ‚Verkehrsgutachten würden mit dem Ziel geschrieben, Straßen zu ermöglichen‘. So wurde das jedenfalls in der Presse zitiert und so hat es auch Oliver Kellner korrekt wiedergegeben.
Frage
Weitere wichtige Fragen wurden durch die Umweltverbände aufgeworfen: Zum Beispiel wohin fließt das Regenwasser, mit allem was Verkehr mit sich bringt: Öl, Reifenabrieb und Streusalz? Darf das Wasser einfach am Straßenrand versickern?“
Antwort
Genau. Unser gemeinsames Fazit war: Wieder viele offene Fragen und Hausaufgaben für Gutachter und Kreisverwaltung, die nun offenbar aber schon wieder seit gut einem Jahr nicht erledigt werden konnten.
Frage
Wie geht es weiter? Was meinen Sie, Herr Sorge – nicht als Politiker gefragt, sondern als Planungsexperte?
Antwort
Es geht den Gang der Dinge: Es werden wieder Gutachten vorgelegt werden. Wieder wird die Öffentlichkeit beteiligt und Einsprüche können eingereicht werden. Wieder wird sich die Bezirksregierung damit beschäftigen müssen. Jetzt, im Herbst 2020, ist aber noch immer Nichts geklärt: Die Bezirksregierung muss irgendwann in der Zukunft alle Fakten sichten und alle Argumente dafür und dagegen anhören. Dann kommt es zu einem Planfeststellungsbeschluss – oder auch nicht. Sollte es zu einem Planfeststellungsbeschluss kommen, dann ist dies lediglich vergleichbar mit einer Baugenehmigung. Das ist aber keine Bauverpflichtung! Erst müssen Kreistag und Stadtrat auf die dann aktuellen Kosten schauen und entscheiden, ob sich diese Straße lohnt. Politisch gesagt ist die Frage: Ob es sich also lohnt, geschätzte 40 Millionen Euro oder mehr auszugeben um voraussichtlich nur geringe Verkehrsentlastung zu erzielen. Und ganz nebenbei die jahrhundertealte Natur- und Kulturlandschaft zu zerschneiden und den Naherholungsraum im Westen der Stadt, unseren Brook, zu zerstören. Denn die Umwelt leidet – schon ohne Straßenneubau: Wir erleben den dritten heißen Dürresommer in Folge: Die Klimakrise ist da. Und sie ist für alle Menschen sichtbar! Die Mobilitätswende ist aber auch da: E-Autos und Wasserstoff als Treibstoff sind die Zukunft. Es wird weniger Lärm und Feinstaub geben. Mehr Menschen fahren Rad. E-Bikes und Lastenräder ersetzen den Zweit- oder Drittwagen. Öffentliche Verkehrsmittel – Busse und Bahnen – werden mehr genutzt.
Und auch die Pandemie wirkt sich auf den Verkehr aus: Berufspendler sind weniger unterwegs, Geschäftsreisen werden durch Videokonferenzen ersetzt.
Wir müssen uns fragen: Brauchen wir also diese über die Maßen teure, landschaftsverschlingende neue Straße immer noch? Wir Grüne glauben: Nein, das geht auch ohne die Straße!
Frage
Wie genau ist denn dann jetzt der konkrete Verfahrensstand? Auf den Punkt bitte!
Antwort
Der Emsdettener Stadtrat hat die Entscheidungshoheit, ob diese Straße gebaut werden soll. Denn der Kreis baut keine Straßen, wenn es die Stadt nicht will. Stadt und Kreis müssen den Straßenbau bezahlen. Das Land beteiligt sich.
Wenn also Stadtrat oder Kreistag beschließen, diese Straße aus politischen oder finanziellen Gründen nicht zu bauen, dann wird sie nicht gebaut. Stadtrat und Kreistag, Bürgermeister/in und Landrat/Landrätin werden im September gewählt. Darum steht bei der Kommunalwahl viel auf dem Spiel – und das Spiel ist noch lange nicht entschieden!“
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