Verstehen, aber nicht einverstanden sein

0
826
v.l.n.r. Ausbilder Reiner Gall, Fatima Kavak, Leonie Bernd, Dunja Naberbäumer, Alexandra Westkamp, Lena Altevogt, Tanja Schewe, Maike Schröer, Ausbilder Carsten Osterkamp- Es fehlen Lisa Siermann, Lydia Dübjohann, Vanessa Neumann (Foto: 13drei)

Mit einem halben Jahr Verspätung kann es endlich losgehen: Die Qualifizierung zu Anti-Aggressivitäts- und Coolnesstrainerinnen für zehn Kreisel-Mitarbeiterinnen beim Institut für Konfrontative Pädagogik (IKD) ist gestartet. Doch worum geht es bei dieser Weiterbildung eigentlich? Wie der Name schon erahnen lässt, geht es um Präventionsmethoden im Umgang mit Gewalt. Das Anti-Aggressivitäts-Training, kurz AAT, richtet sich dabei an die Zielgruppe meist jugendlicher Gewalttäter, die die Teilnahme an einem solchen Training häufig als richterliche Auflage nach einer Gewalttat verordnet bekommen. Mit dieser Trainingsmethode erhalten die Täter über einen Zeitraum von gut einem halben Jahr Unterstützung dabei, sich mit ihren Taten und vor allem den Folgen für ihre Opfer aktiv auseinander zu setzen. Als Basis dient dabei die konfrontative Pädagogik. „Konfrontation hört sich immer erstmal hart an, aber es geht darum die Täter mit den Folgen ihrer Taten zu konfrontieren. Häufig haben sie für sich gute Gründe, mit denen sie ihre Gewalt rechtfertigen. Doch diese Strategien gilt es aktiv zu hinterfragen und dabei das Gewissen derjenigen zu aktivieren, die eine Tat begangen haben,“ berichtet Joachim Lemke, Projektleiter und bereits als AAT/CT-Trainer qualifiziert. „Das Gewissen bei den Tätern zu aktivieren, die da nicht freiwillig sitzen und erst recht keine Lust haben sich mit den Folgen für ihre Opfer auseinanderzusetzen, ist nicht so einfach. Das braucht zum einen genügend Zeit und zum anderen gute Trainerinnen und Trainer mit einer klaren Haltung.“

Projektleitung: Joachim Lemke (Foto: 13drei)

‚Eine klare Linie mit Herz‘, so hat es Professor Jens Weidner benannt, einer der Mitbegründer des Anti-Aggressivitäts-Trainings. Sein Gründungskollege Reiner Gall prägt den Satz: ‚Verstehen aber nicht einverstanden sein‘, was so viel bedeutet wie die Akzeptanz der Person des Täters, bei gleichzeitiger Ablehnung seiner Taten. Es geht also darum, mit der Zeit belastbare Beziehungen zu den Tätern aufzubauen, damit die spätere Konfrontation auch ein gewisses Gewicht hat. In zukünftigen und ähnlichen Situationen wie die, die zur Gewalt führten, sollen sie alternative Handlungsmöglichkeiten für sich erarbeiten, damit sie nicht in alte Muster zurückfallen und erneut Gewalt anwenden, bzw. neue Opfer produzieren. Denn das ist das Hauptziel des Anti-Aggressivitäts- und Coolnesstraining: Opferschutz.

Beim Coolnesstraining, kurz CT, handelt es sich um eine Abwandlung des AAT für die Arbeit in Gruppen, vor allem in Schulen. „Es handelt sich dabei um eine Art Sozialtraining, die sowohl potentielle Täter und Opfer, aber auch die meist schweigende Mehrheit in den Blick nimmt. Das Coolnesstraining hilft dabei Täter zu begrenzen, Opfern ein Drehbuch für schwierige Situationen zu geben und der verunsicherten Mehrheit, die tatenlos zusieht, Möglichkeiten friedfertiger Einmischung zu vermitteln,“ so Lemke weiter. Aber auch der Blick in die jeweiligen Institutionen ist dabei wichtig: Gibt es wiederkehrende konfliktfördernde Situationen? Wie sieht Opferschutz bisher aus? Wie handeln eigentlich die verantwortlichen Führungspersonen? „Als ich selbst die Qualifizierung im Jahr 2016 gemacht habe, arbeitete ich damals im Offenen Ganztag (OGS) einer Förderschule. Konflikte waren da unter den Kindern nicht selten und häufig mit viel Stress auf allen Seiten verbunden. Ich habe durch die AAT/CT-Trainer-Ausbildung so viel Struktur, Haltung und Methodik erfahren, dass ich mein Wissen unbedingt mit den Kolleginnen und Kollegen teilen wollte,“ berichtet Lemke weiter. Daraus entstanden kleinere und größere interne Team-Schulungen und die Entwicklung eigener Sozialtrainings für die Arbeit in der OGS. In der Zwischenzeit ließen sich vier weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreisels beim IKD ausbilden. Im Jahre 2020 wurde dann ein Projektantrag mit einer Fördersumme von insgesamt 26.275€ vom Institut für Soziale Arbeit bewilligt, der es zehn weiteren Kreisel-Mitarbeiterinnen nun ermöglicht, ebenfalls die Qualifizierung zu erlangen. „Das Projekt trägt den Namen ‚Konfliktlöser-Coach‘ und es geht vor allem darum, OGS-Mitarbeitern auf Basis der AAT/CT-Trainer-Qualifizierung das Rüstzeug zu geben, zukünftig ihre Rolle als Führungspersonen, gerade in Konflikten, gerecht zu werden. Der Kreisel e.V. ist Träger des Offenen Ganztags an derzeit 12 Grund- und Förderschulen in Emsdetten, Rheine, Borghorst, Lengerich, Dörenthe, Mettingen und Münster. An den meisten Standorten wird es voraussichtlich Mitte 2022 qualifizierte AAT/CT-Trainerinnen und Trainer geben, die dann verschiedene gewaltpräventive Sozialtrainings in den OGS-Alltag einbringen werden,“ so Lemke abschließend. Weitere Informationen zum Kreisel e.V. gibt es unter www.kreisel-emsdetten.de.

Kommentieren Sie den Artikel

Die Kommentare werden erst nach Prüfung freigeschaltet. Kommentare ohne Hinweis auf den Verfasser (vollständiger Klarname) oder gar mit vorsätzlich falscher E-Mail-Adresse werden nicht veröffentlicht! Wir bitten Sie, bei Ihren Kommentaren sachlich zu bleiben und sich einer angemessenen Formulierung zu bedienen.

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Danke für Ihre Nachricht. Wir werden diese schnellst möglich bearbeiten.