In unserer Serie über 100 Jahre Reckenfeld haben wir schon viel über die Entstehung und Entwicklung dieses jüngsten Ortsteils Grevens erfahren. Dabei ging es am Rande auch immer wieder um die „Displaced Persons“ – ein Thema, das eng mit Reckenfelds Geschichte verwoben ist. Eine dieser bewegenden Geschichten ist die von Kazimierz Plesnar. Die Mutter von Kazimierz flüchtete 1945 aus Polen, war mit Kazimierz schwanger. Sie hatte während des Krieges für die Deutschen gearbeitet, ihr drohte im unter sowjetischer Verwaltung stehenden Polen die Arrestierung. Kazimierz 1946 wurde hier geboren, ist also faktisch waschechter Reckenfelder. Der mittlerweile 79-jährige Kazimierz Plesnar war in der vergangenen Woche erstmals wieder in Reckenfeld. AllesDetten durfte bei diesem Besuch dabei sein.

Als sogenannte „Displaced Person“ waren er und seine Mutter zusammen mit etwa 2.000 weiteren Polen in einem umzäunten Lager, dem ehemaligen Munitionsdepot, in Reckenfeld untergebracht. Die Bezeichnung „Displaced Person“ entstammt einer Order des Alliierten Hauptquartiers und war klar definiert: „Zivilisten außerhalb der nationalen Grenzen ihres Landes aus kriegsbedingten Gründen, die nach Hause zurückkehren wollen, aber dazu unfähig sind, oder die ohne Hilfe kein Zuhause finden oder die in feindliches oder ehemals feindliches Territorium zurückgebracht werden müssen.“ (Outline Plan for Refugees and Displaced Persons, 3.6.1944).

Die Mutter von Kazimierz floh 1945 aus dem sowjetisch kontrollierten Polen nach Westdeutschland. Viele Polen, die während des Zweiten Weltkrieges in den deutsch besetzten Gebieten für die Nationalsozialisten gearbeitet hatten, sahen sich der Gefahr einer Verhaftung durch die russischen Behörden ausgesetzt. Kazimierz‚ Mutter, bereits schwanger, fand Zuflucht in einem polnischen Lager unter britischer Verwaltung in Deutschland – Reckenfeld, wo sie als Köchin arbeitete. Anfang der 1950er-Jahre wurde dieses Lager aufgelöst, und viele der Bewohner, darunter auch Kazimierz‚ Familie, suchten eine neue Heimat in Übersee – in den USA, Kanada, Argentinien, Mexiko oder Australien, weit weg von den traumatischen Erfahrungen in Deutschland.

Kazimierz war gerade einmal fünf Jahre alt, als er das Schiff bestieg, das ihn ins „große Amerika“ bringen sollte.
„Ich kann mich noch an die Jacke erinnern, die ich getragen habe und den Moment, als ich das Schiff betreten habe.“, verrät er AllesDetten im Gespräch. Weitere Erinnerungen an Reckenfeld hat er leider nicht. Die alten Fotos im Reckenfelder Haus der Geschichte hat er sich lange angesehen, sie rufen in ihm allerdings keine Erinnerungen vor.
Kazimierz‚ Tochter Tammy, hat nun den Kontakt nach Polen und Deutschland aufgenommen. Getrieben von einem tiefen Interesse an der Geschichte ihrer Vorfahren, stieß sie nach acht Monaten intensiver Suche auf eine überraschende Fülle von Dokumenten. Diese Entdeckungen motivierten sie dazu, mit ihrer Familie – ihrem Vater Kazimierz (in Amerika mittlerweile nur noch Charlie genannt), seiner Lebensgefährtin Bewerly, ihrem Mann David und ihren Töchtern Hayley und Kylie mit ihrem Freund Victor – eine Reise nach Polen und auf dem Rückweg einen Zwischenstopp in Reckenfeld zu planen. Für Kazimierz war diese Reise, die ihn an seine frühesten Lebensjahre zurückführen sollte, ein Herzenswunsch.

Im Haus der Geschichte in Reckenfeld wurde die Reisegruppe vom Bürgerverein Reckenfeld herzlich empfangen. Der Verein hatte eine ganze Rundtour mit verschiedenen historischen Stationen durch Reckenfeld vorbereitet, um der Familie einen umfassenden Einblick in die Geschichte des Ortes zu geben. Nach einer interessanten Einführung in die geschichtlichen Hintergründe des Ortes begab sich die Familie unter anderem zum Friedhof. Dort besuchten sie die Gräber polnischer Kinder, legten Blumen nieder und erlebten zutiefst emotionale Momente. Die 45 Kinder, die hier begraben liegen, sind im Säuglingsalter in Reckenfeld angekommen oder, wie Kazimierz, hier geboren. Kazimierz ist einer der wenigen, die diese Zeit überlebt haben.

In angeregten Gesprächen mit AllesDetten teilte Kazimierz seine Erfahrungen aus Kindheit und Jugend in Amerika. Er sprach über das Gefühl, ein „DP“ (Displaced Person) gewesen zu sein, denn das war er ja in Amerika wieder. Er hat als Kind und Jugendlicher viel Diskriminierung erfahren. Seine Mutter hatte nie über Deutschland gesprochen – eine Zeit schlimmer Erfahrungen, die sie aus ihrem Leben streichen wollte.
Als Kazimierz‚ Tochter Tammy vor vielen Jahren mit ihrer Schulklasse Deutschland besuchte, war ihrer Großmutter sichtlich unwohl bei dem Gedanken.
Der Besuch in der vergangenen Woche in Reckenfeld brachte Kazimierz seiner ihm begleitenden Familie viele bewegende Momente. Neben einer symbolischen Schaufel Heimaterde aus Reckenfeld nehmen sie auch viele Eindrücke einer vielfach vergessenen Zeit mit.

Die ehrgeizigen Bemühungen von Tammy wie auch der Enkeltöchter, mehr über ihre Wurzeln zu erfahren, haben Kazimierz einen Herzenswunsch erfüllt. Geschichte kann häufig auch schmerzhaft sein, ignorieren sollte man sie dennoch nicht, hilft es doch hoffentlich, dass sich solche Erfahrungen nicht wiederholen mögen. Reckenfeld100
(H I E R finden Sie alle bisher erschienenen Beiträge zu dieser Serie)
Translation for our American friends
In our series on 100 years of Reckenfeld, we have already learned a great deal about the origins and development of this youngest district of Greven. In the process, we have repeatedly touched on the subject of “displaced persons” – a topic that is closely interwoven with Reckenfeld’s history. One of these moving stories is that of Kazimierz Plesnar. Kazimierz’s mother fled Poland in 1945 while pregnant with him. She had worked for the Germans during the war and was threatened with arrest in Soviet-administered Poland. Kazimierz was born here in 1946, making him a true Reckenfelder. Kazimierz Plesnar, now 79 years old, returned to Reckenfeld for the first time last week. AllesDetten was able to be there for this visit.
As so-called “displaced persons,” he and his mother were housed together with about 2,000 other Poles in a fenced-in camp, a former munitions depot, in Reckenfeld. The term “displaced person” originated from an order issued by Allied headquarters and was clearly defined: “Civilians outside the national borders of their country for reasons related to the war who wish to return home but are unable to do so, or who cannot find a home without assistance, or who must be returned to enemy or formerly enemy territory.” (Outline Plan for Refugees and Displaced Persons, June 3, 1944).
Kazimierz’s mother fled Soviet-controlled Poland for West Germany in 1945. Many Poles who had worked for the Nazis in German-occupied territories during World War II faced the threat of arrest by the Russian authorities. Kazimierz’s mother, who was already pregnant, found refuge in a Polish camp under British administration in Germany—Reckenfeld, where she worked as a cook. In the early 1950s, this camp was dissolved, and many of its residents, including Kazimierz’s family, sought a new home overseas – in the US, Canada, Argentina, Mexico, or Australia, far away from their traumatic experiences in Germany.
Kazimierz was just five years old when he boarded the ship that would take him to “the great America.”
“I can still remember the jacket I wore and the moment I stepped onto the ship,” he reveals to AllesDetten in conversation. Unfortunately, he has no other memories of Reckenfeld. He spent a long time looking at the old photos in the Reckenfeld House of History, but they did not bring back any memories for him.
Kazimierz’s daughter Tammy has now made contact with Poland and Germany. Driven by a deep interest in the history of her ancestors, she came across a surprising wealth of documents after eight months of intensive research. These discoveries motivated her to plan a trip to Poland with her family—her father Kazimierz (now known only as Charlie in America), his partner Bewerly, her husband David, and her daughters Hayley and Kylie with boyfriend Victor—with a stopover in Reckenfeld on the way back. For Kazimierz, this trip, which would take him back to his earliest years, was a heartfelt wish.
The tour group was warmly welcomed by the Reckenfeld Citizens‘ Association at the House of History in Reckenfeld. The association had prepared a complete tour of various historical sites in Reckenfeld to give the family a comprehensive insight into the history of the town. After an interesting introduction to the historical background of the town, the family visited the cemetery, among other places. There they visited the graves of Polish children, laid flowers, and experienced deeply emotional moments. The 45 children buried here arrived in Reckenfeld as infants or, like Kazimierz, were born here. Kazimierz is one of the few who survived that time.
In lively conversations with AllesDetten, Kazimierz shared his experiences from his childhood and youth in America. He spoke about the feeling of being a “DP” (displaced person), because that is what he was again in America. He experienced a lot of discrimination as a child and teenager. His mother never spoke about Germany—a time of terrible experiences that she wanted to erase from her life.
When Kazimierz’s daughter Tammy visited Germany with her school class many years ago, her grandmother was visibly uncomfortable with the idea.
Last week’s visit to Reckenfeld brought Kazimierz and his accompanying family many emotional moments. In addition to a symbolic shovel of soil from Reckenfeld, they also took away many impressions of a largely forgotten time.
The ambitious efforts of Tammy and her granddaughters to learn more about their roots have fulfilled a heartfelt wish for Kazimierz. History can often be painful, but it should not be ignored, as it hopefully helps to ensure that such experiences are not repeated.
Der Artikel beschreibt sehr treffend denBesuch in Reckenfeld und Umgebung. Es fand aber darüber hinaus eine sehr persönliche und herzliche Begegnung statt. Man ist sich in den drei Tagen näher gekommen und hat viel übereinander erfahren. Ich war überrascht wie neugierig die jungen Leute über die Geschichte ihres Großvaters und seiner Zeit hier in Reckenfeld waren.
Der freundliche Empfang durch den Bürgerverein, die Dokumentarische Begleitung während des Rundgangs und die gemütlichen Runden am Abend haben bei den Gästen einen guten Eindruck hinterlassen und wurden beim Abschied ausdrücklich bestätigt.
Ein sehr schöner Bericht. Ich habe Kasimir und seine Familie am Freitag im Bürgerhaus kennen gelernt. Alle waren sehr beeindruckt von der Organisation. Eine sehr sympathische Familie.
Ich durfte für alle ein typisch deutsches Essen kochen.
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